Vom Luther-Haus zum Teutsch-Haus: Blick in die wechselvolle Geschichte des Hauses

2023 sind es 140 Jahre seit der Gründung des Lutherhauses als Waisenhaus in Hermannstadt (1883). Aber die Geschichte des Waisenhauses geht weit über das Jahr 1883 zurück. Emil Sigerus vermerkt in seiner „Chronik der Stadt Hermannstadt“, dass bereits 1758 ein ev. Waisenhaus vor dem Sagtor eröffnet wurde. Das ist lediglich 60 Jahre nach der legendären Gründung der vorbildhaften Franckeschen Waisenhaus in Halle (1698) und zeigt, wie früh in Hermannstadt schon soziale Fürsorge gepflegt wurde. Stifter war der Hermannstädter Lederermeister Georg Thayß, dem alle eigenen Kinder gestorben waren. Mit seiner Stiftung wollte er zur „Auferziehung evangelisch geborener, ohne Eltern gebliebener Kinder in der christlich-evangelischen Lutherischen Lehre verhelfen“. Die Anstalt erlebt eine wechselvolle Geschichte. Das Consistorium domesticum unter dem Vorsitz des Nationsgrafen Baron von Brukenthal beschließt 1796 die Versorgung der Waisenkinder in private Hände zu geben und schließt die Anstalt. Wieder eröffnet wird sie 1838, aber bereits 1853 müssen die Zöglinge wieder ausgelagert werden, denn das Gebäude wird an das Militär als Strafanstalt vermietet. 

Um den Fortbestand der Anstalt macht sich Dr. Josef Wächter, damaliger Gemeindekurator, verdient, aber erst Dr. Friedrich Müller, der spätere Bischof, der 1874 zum Stadtpfarrer gewählt wird, bündelt alle Kräfte – Mittel der Brukentahl‘schen Stiftung und des Waisenfonds sowie Spenden des Frauenvereins – zur Neugestaltung des Waisenhauses als Komplex, bestehend aus einem neuen Anstaltsgebäude, verbunden mit einem Schulkinderhort, der neuen Josefstädter ev. Volksschule A.B. und der zu errichtenden Johanniskirche als Bethaus für die Josefstädter Bevölkerung. 

Nach der Grundsteinlegung 1882 schreitet der Bau schnell voran. Am 10. November 1883, rechtzeitig zum Luthergedenkfest (400. Geburtstag), werden Kirche und Waisenhaus bereits eingeweiht. Die Bezeichnung „Lutherhaus“ ist diesem Ereignis zu verdanken. Die Johanniskirche erhält ihren Namen zum Andenken an den Neppendorfer Pfarrer und Stifter Johannes Engelleiter wie auch an den Apostel und Evangelisten Johannes. Bischof Georg Daniel Teutsch weiht in ergreifender Weise Kirche und Anstalt als „neubegründetes Liebeswerk“ zum Wohle der Gemeinschaft. 

Erinnerungen von Zeitzeugen: 

  1. Wilhelm Georgs Erinnerungen an das Waisenhaus um 1900, aufgezeichnet von Heinz Acker

Die Kirche jedoch muss bereits 1910 wegen Baufälligkeit gesperrt und schließlich abgetragen werden. Mit dem Neubau der Kirche wird der 20-jährige Architekt Josef Bedeus von Scharberg betraut. Ihm gelingt ein origineller Entwurf, der Reformarchitektur mit Anklängen an siebenbürgische Wehrkirchen verbindet. Der achteckige Glockenturm mit den vier an Wehranlagen erinnernden Türmchen ist zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden. Die neue Johanniskirche wird 1912, wiederum an einem 10. November eingeweiht, diesmal von Bischof Friedrich Teutsch. Es folgt eine weitere segensreiche Zeit für Kirche und Anstalt. 

Erinnerungen von Zeitzeugen:

  1. Jinis Weihnachten im Waisenhaus, 1929, aufgezeichnet von Ilse Philippi

1948 verstaatlichen die neuen Machthaber den Gebäudekomplex, der zunächst Sitz eines Waisenhauses, nun „Casa de Copii nr. 1“, bleibt. Dann erlebt das Haus eine wechselvolle Geschichte. Es wird zum Studentenwohnheim (1969-1977), Kulturhaus der Studenten (1978-2000), beherbergt vorübergehend Aufführungen der Deutschen Abteilung des Hermannstädter Staatstheaters (1979). 

Erinnerungen, Berichte und Interviews:

  1. Josef Balazs – Im ehemaligen Waisenhaus als Student gelebt, 1971.
  2. Aurelia Cosma – Wie es in den 1970-er Jahren im Studentenwohnheim war
  3. Martin Ohnweiler – Zeitungsbericht zur Eröffnung des Studentenkulturhauses
  4. Hanns Schuschnig – Studio Kellertheater 1979
  5. Beatrice Ungar – Interview zum Studentenkulturhaus
  6. Gerhild Rudolf – Interview zum Studentenkulturhaus und zum Teutsch-Haus

1993 beginnt ein langwieriger Rückgabeprozess an die evangelische Kirchengemeinde, der erst 1999 abgeschlossen werden kann. Die Abteilungen des Studentenkulturhauses ziehen nur nach und nach bis Ende 2000 aus, erst Anfang 2001 konnte das Haus ganz übernommen werden. Es steht unter der Schirmherrschaft des Landeskonsistoriums.

Interviews:

  1. Constantin Chiriac – Erinnerungen des ehemaligen Studentenkulturhaus-Direktors 
  2. Gerhard Konnerth – Erinnerungen an das Kinderheim, Studentenkulturhaus und den Rückgabeprozess

Nach Sanierungsarbeiten (2001-2002) kann endlich am 19. Oktober 2003 der gesamte Komplex als „Begegnungs- und Kulturzentrum Friedrich Teutsch“ eingeweiht werden. 

Die Eröffnung nahm Bischof D. Dr. Christoph Klein vor. 

  1. Bischof D. Dr. Christoph Klein – Zur Entstehung des Begegnungs- und Kulturzentrums Friedrich Teutsch der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (Rede zur Eröffnungsfeier, 2003)

2004 wird das hier eingerichtete Zentralarchiv der EKR (Evangelische Kirche Rumäniens) für das Publikum geöffnet, 2007 das Landeskirchliche Museum mit einer Dauerausstellung zur Geschichte und Kultur der Siebenbürger Sachsen. Wechselnde Ausstellungen werden im großzügigen Terrassensaal veranstaltet.

Als Mieter und Partner zogen das einladende Erasmus-Büchercafé (2006) und das wissenschaftliche „Institut für Ökumenische Forschung“ (2008), heute „Forschungsgruppe für interkulturellen Dialog“, ein.

Auch die 2005 restaurierte Johanniskirche erhält neue Aufgaben. Sie wurde zum Ausweichquartier während der umfangreichen Restaurierungsarbeiten an der Hermannstädter Stadtpfarrkirche (2008-2013 und 2018) und diente zeitweise auch als Winterkirche. Heute zeigt sie sich auch als Schatzkammer mit hier eingelagerten existenzgefährdeten und wertvollen Kulturgütern mehrere Kategorien: zwei wertvolle spätgotische Flügelaltäre, eine zusätzliche Orgel, Bronzeguss (ein vorreformatorisches Taufbecken und Glocken) sowie ein modernes Gemälde. Die Kirche wird als Ort des Gebets sowie für Gottesdienste zu besonderen Anlässen und für Konzerte genutzt.

Die Aufgabe des Teutsch-Hauses ist es, zur Erhaltung des Kulturerbes der evangelischen Kirche und der Siebenbürger Sachsen sowie zu dessen Wahrnehmen durch die Öffentlichkeit beizutragen. Am 19. Oktober 2023 feierte Hermannstadt das Doppeljubiläum „140 Jahre Luther-Haus und 20 Jahre Teutsch-Haus“ mit einem „Tag der offenen Tür“.

Die Interviews mit Josef Balazs, Constantin Chiriac, Aurelia Cosma, Gerhard Konnerth, Gerhild Rudolf und Beatrice Ungar führte Sandra Jordan während ihres Praktikums im Teutsch-Haus im Frühjahr 2023. Die Vorgeschichte des Hauses fasste Dr. Heinz Acker zusammen. An der Redaktion der Texte für die vorliegende digitale Festschrift wirkte Elisabeth Deckers mit. 

Gerhild Rudolf, Februar 2024

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